Brief an den Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 04.11.09

Sehr geehrter Herr Bonhorst,

ich erlaube mir bezüglich des Artikels der Augsburger Allgemeinen vom 16. Oktober 2009 / Seite 1 unter der Überschrift "Deutsche fürchten sich vor dem Pflegeheim" auf Sie zuzukommen.

Als Träger von 23 Seniorenheimen in Schwaben hat uns diese Veröffentlichung betroffen gemacht. Weil wir es auch als unsere Aufgabe betrachten, Menschen bei real bestehenden Ängsten mit Blick auf einen solchen "Ortswechsel" beizustehen. Und man muss es auch so sehen: Wer verlässt schon freudig ein Domizil, das vielleicht jahrzehntelang die Heimat war und das meist auch das Leben mit oft vielen Erinnerungen prägte.


Dabei empfinde ich es zunächst als positiv, wenn sich eine Zeitung dieser Problematik annimmt. Allerdings sind in der gesamten Veröffentlichung - die ja nicht nur in einer Vor-Ort-Ausgabe erschienen ist - Unstimmigkeiten enthalten, die meines Erachtens die genannten Ängste ziemlich unterstützen. Ich habe anhand einer Pressemitteilung Ihre Redaktion ersucht, eine Richtigstellung vorzunehmen. Dies geschah leider nicht und mir wurde die Zusendung eines Leserbriefes empfohlen. Insoweit habe ich noch ein gewisses Verständnis, denn wenn Frau Mascher und Herr Fussek sich artikulieren, dann ist Ihnen wahrscheinlich ein Münzenrieder als Kritiker halt nicht adäquat genug. Trotz allem verbleibt bei mir ein bitteres Unbehagen:

In Ihrem Bericht wird ein längst überholtes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) wieder aus dem Archivkeller geholt und es werden Behauptungen aufgestellt, die so nicht hinnehmbar sind. Dazu habe ich Ihrem Hause das neueste Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 8. Oktober 2009 zugesandt. Hierin wird dokumentiert, dass in der Zeit vom 1. Juli bis Mitte September 2009 1057 Pflegeheime inspiziert wurden und dass hiervon (nur) zwölf die Gesamtnote "mangelhaft" erhielten. Über 700 Einrichtungen erhielten sogar die Noten "sehr gut" und "gut". Als beinahe verantwortungslos empfinde ich es, wenn im Bericht von hungernden und durstenden Bewohnern gesprochen wird. Hier wird - etwas salopp gesehen - den Lesern suggestiert, die Träger von Heimen würden nicht einmal bereit sein, den menschlichen Grundbedürfnissen der uns anvertrauten Menschen nachzukommen.

Ihre Redaktion wird es wahrscheinlich nicht wissen: Wir müssen in unseren Häusern mit einem Tages-Lebensmitteleinsatz von durchschnittlich 4,12 € über die Runden kommen. Mehr genehmigen uns u. a. die Pflegekassen nicht. Und trotzdem bieten wir unseren Bewohnern ansprechende, gesunde und ausreichende Kost (oft auch in Form eines Abendbuffets).

Im übrigen haben wir uns ständigen internen und externen Überprüfungen zu stellen: Hausärzte, Pflegefachpersonal, die Heimaufsicht, MDK-Prüfer und das Gesundheitsamt würden es mit Recht nicht zulassen, dass die Ernährungssituation bzw. die gesamte Pflegequalität ein - wie bei Ihnen vorgetragen - dramatisches und besorgniserregendes Niveau erreicht.

Und warum wird nicht angesprochen, dass die Pflegequalität und gutes Personal auch etwas mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen zu tun hat? Letzthin werden wir nicht daran vorbeikommen, die Frage politisch zu beantworten, was und wie viel unserer Gesellschaft das "Altwerden" kosten darf. Dabei sind nicht die Heime die Schwachpunkte. Ich kann es fast nicht mehr hören, wenn immer wieder - auch im gesamten AZ-Bericht - etwas praxisfremd vorgebracht wird, durchdachte Dienstpläne und zufriedenes Personal seien oft keine Frage des Geldes. Natürlich ist das Geld nicht alles. Aber eine notwendige bessere fachliche Personalpräsenz - die refinanzierbar sein muss - hat halt in erster Linie etwas mit den leidigen Finanzen zu tun.

Ich habe mir jetzt - sehr geehrter Herr Bonhorst - meinen Ärger etwas "vom Leib geschrieben". Für mich wäre es aber ein großes Anliegen, wenn die Möglichkeit bestünde, die gesamte Problematik einmal in Ihrer Zeitung - eventuell in Form eines Interviews - aus der Sicht eines Wohlfahrtsverbandes, der in Schwaben mit ca. 2000 Plätzen zu den großen Anbietern an Heimplätzen zählt, darstellen zu können. Dies schon aus Gründen der Objektivität und im Interesse einer ausgewogenen Information. Aber auch als kleiner Ausgleich für eine meines Erachtens in Teilen nicht korrekte Berichterstattung. Und trotzdem im Wissen darum, dass die heile Welt natürlich auch bei den Seniorenheimen nicht anzutreffen ist. Im Übrigen ist nichts so gut, als dass es nicht besser werden könnte…

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Heinz Münzenrieder
Stadtdirektor a. D.
Vorsitzender des Präsidiums und des Verwaltungsrats