AWO-Bundesverband kritisiert auch Sprachtests für Vierjährige scharf:
"Statt Kinder zu fördern, werden die Eltern bestraft."

Der Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel stellt der AWO-Bundesverband ein schlechtes Zeugnis aus: "Die Steuererleichterungen und Kindergelderhöhung sind ein falsches Signal. Damit wird rein gar nichts gegen die skandalöse Armut von mehr als 2,4 Millionen Kindern in unserem reichen Land getan - im Gegenteil: Die Koalitionsbeschlüsse verschärfen die Spaltung und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft", kommentiert AWO-Chef Rainer Brückers.

Statt dieser Verschlimmbesserung der so teuren wie völlig verfranzten Familienförderung und dem Beharren auf weiteren Transferzahlungen ausschließlich für Besserverdienende, sei endlich ein mutiger Systemwechsel angesagt, um Kinder aus der Armut zu holen, betont der AWO-Chef: "Solange auch diese Koalition ihre Sonntagsreden für den kostenlosen Zugang zu Bildung und Betreuung nicht erfüllt, brauchen alle Kinder eine Grundsicherung von 500 Euro im Monat. Diesen Betrag hat das Bundesverfassungsgericht als kindliches Existenzminimum festgestellt. Und diesen Betrag brauchen alle Kinder, um überhaupt die Chance zu haben, gleichberechtigt am Bildungssystem und dem sozialen Leben teilzunehmen."
Brückers empfahl der neuen Regierung, das sozial gerechte und nahezu kostenneutrale Modell des "Bündnis Kindergrundsicherung" zu studieren, das von zahlreichen Experten und Verbänden unterstützt wird (www.kinderarmut-hat-folgen.de).

Als "Farce" kritisiert der AWO-Bundesverband die Vorstellungen von Kanzlerin Merkel, das geplante Betreuungsgeld in Form von Gutscheinen auszuteilen. "Schon grundsätzlich ist es ein völlig falscher Anreiz, Eltern eine Prämie dafür zu zahlen, dass sie ihre Kleinkinder zu Hause betreuen - aber vollends absurd wird es, dieses Geld statt in den Ausbau von Krippen in Gutscheine für Ballettunterricht zu stecken", meint AWO-Chef Brückers zu den Aussagen der Kanzlerin in einem Emma-Interview. Sollte die Regierung damit nicht auf die frühestmögliche Entdeckung künftiger Leistungssportler und Musikgenies zielen, ist es einfach abstrus, für Kinder unter 3 Jahren Gutscheine für Ballettunterricht oder Musikstunden auszuteilen, statt allen Kindern altersgerechte Bildung und breite Förderung in Krippen und Kitas zu bieten.

Als "praktischen Unsinn" kritisiert der AWO-Bundesverband das Vorhaben des Koalitionsvertrages, bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für vierjährige Kinder einzuführen." Offenbar weiß die Regierung nicht, was die Regierung weiß", erinnert AWO-Chef Brückers. Im vergangenen Jahr hat das Ministerium der alten wie neuen Bildungsministerin Schavan eine Expertise mit dem sperrigen Titel "Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung" veröffentlicht. Das Fazit: "Weder gibt es derzeit verlässliche diagnostische Verfahren, noch gar sind didaktische Verfahren einfach vorhanden, die eine passgenaue individuelle Förderung ermöglichen würden." Solange praktische Methoden und Systeme fehlen, sind volltönende Ankündigungen wie im Koalitionsvertrag "purer Aktionismus und sinnlos", kritisiert die AWO.

"Geradezu skandalös" findet der AWO-Bundesverband die Absicht des Koalitionsvertrages, schlechte Deutschkenntnisse von Eltern künftig als Beeinträchtigung des Kindeswohls zu betrachten und Sanktionen anzudrohen. Damit würden mangelnde Deutschkenntnisse von Eltern in die Nähe eines Straftatbestandes gerückt, rügt die AWO. "Statt die Kinder zu fördern, werden ihre Eltern bestraft", kritisiert AWO-Chef Brückers. "